Abschied
Liebe Leserinnen und Leser,
wir beenden nach acht Jahren intensiver Arbeit unser Engagement in der Flüchtlingsunterkunft auf der Ötztaler Höhe. Die Zusammenarbeit mit den Tiroler Sozialen Diensten (Betreiber des Flüchtlingsheims) gestaltete sich für uns leider wenig erfreulich. Es gipfelte darin, dass unsere unterstützende Tätigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner als einmischend angesehen wurde.
Wertschätzend, hilfreich und gut haben wir die Heimleitertätigkeit von Frank Donner (von Mai 2018 bis April 2023) erlebt. Für seinen Einsatz um das Wohl der Heimbewohner möchten wir ihm ausdrücklich danken.
Vereinstätigkeit
Eine wesentliche Aufgabe unserer Vereinsarbeit war es das „friedliche Miteinander in der Gemeinde Haiming“ zwischen Gemeindebevölkerung und Bewohnerinnen und Bewohner der Asylunterkunft auf der Ötztaler Höhe zu fördern bzw. zu ermöglichen. Wir haben uns als Brückenbauerinnen gesehen und sind als Vermittlerinnen in den unterschiedlichsten Situationen und zwischen den unterschiedlichsten Beteiligten aufgetreten. Mittlerweile sind „Menschen auf der Flucht“ in unser aller Alltagsbild angekommen. Der Bevölkerung von Haiming ist das Flüchtlingsheim nicht mehr fremd. Die Kinder besuchen die Schule und den Kindergarten, die Bewohnerinnen und Bewohner benutzen die öffentlichen Verkehrsmittel, kaufen ihre Lebensmittel in den örtlichen Geschäften, männliche Bewohner sind mit den Fahrrädern unterwegs. Das heißt, unsere Vermittlungsfunktion ist nicht mehr im gleichen Ausmaß erforderlich wie in den Anfangsjahren 2016-2020. Zum Beispiel beim Thema Arztbesuch: Es war viel Erziehungsarbeit auf Seiten der Bewohnerinnen und Bewohner erforderlich, bis sie verstanden haben,
dass bei Arztbesuchen Termine vereinbart, eingehalten oder abgesagt werden müssen, dass die Rettung nur im Notfall alarmiert werden darf. Es ist uns damit gelungen, dass die Bewohner ihre entsprechenden Bezugsärzte haben und ein Vertrauensverhältnis aufbauen konnten. An dieser Stelle möchten wir uns explizit für die gute Zusammenarbeit mit Zahnarzt Dr. Kurtalic und Team in Silz und mit Allgemeinmediziner Dr. Stephan Grünewald und Team in Oetz bedanken. Ein großes Dankeschön unserer lieben Margaretha für ihren unermüdlichen Einsatz für die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner.
Veränderungen
Die direkte Arbeit mit den Bewohnern im Heim hat sich in den letzten Monaten auf wenige Schultern verteilt. Danke Margaretha, Petra H., Petra G., Ernst und Wolfgang. Anfänglich gab es rege Beteiligung und viele Helferinnen und Helfer, die sich um Kinder und Schulaufgaben,um Spracherwerb, um Arztfahrten, um Tafelfahrten, um juristische Angelegenheiten und ähnliches gekümmert haben. Im Laufe der Zeit wurde die Anzahl der Unterstützerinnen und Unterstützer kleiner. Die Aufgaben im Heim änderten sich zunehmend und wurden komplexer und damit finanziell und emotional herausfordernder.
Ging es am Anfang noch darum ausreichend Kleidung, Teppiche, Geschirr und Fahrräder für die Geflüchteten zu organisieren, ging es später zunehmend darum, juristische Begleitung zu leisten. Großzügige Spenden ermöglichten es, Rechtsanwälte zu beauftragen und sich den einzelnen Anträgen anzunehmen. Die negativen Bescheide setzten sowohl den Betroffenen als auch uns zu. Diese Situationen waren sehr schwierig und kosteten viel Energie, viel Geld und frustrierten alle Beteiligten. Die Abschiebeandrohnungen betrafen fast ausschließlich geflüchtete Menschen aus Afghanistan und Somalia. Ab Herbst 2021 kamen vorwiegend Menschen aus Syrien, deren Aufenthaltsstatus sehr schnell gesichert war und die somit das Heim rasch wieder verlassen konnten. Die kurze Aufenthaltsdauer im Heim hatte zur Folge, dass es sich schwieriger gestaltete eine stabile Beziehung und ein Vertrauensverhältnis zwischen den Bewohnerinnen, Bewohnern und uns Freiwilligen herzustellen.
Nebenschauplätze
In den Jahren der Zusammenarbeit mit den Menschen auf der Flucht, gab es in deren Heimatländern (Afghanistan, Pakistan, Syrien) schreckliche Ereignisse. Flut in Pakistan (2022), Erdbeben in Syrien/Türkei (2023), Machtübernahme der Taliban in Afghanistan (2021) und medizinische und wirtschaftliche Unterversorgung der Bevölkerung in der Coronazeit vor allem
in Afghanistan. Diese Ereignisse machten unsere Bewohner schmerzlich betroffen, wussten sie doch ihre Familien und Freunde in Gefahr und mussten Todesfälle betrauern. So gut es uns möglich war, versuchten wir mittels erfolgreicher Spendenaufrufe zumindest den finanziellen Druck für die zurückgelassenen Angehörigen abzufedern. Es war uns unter anderem aus psychischer Sicht wichtig, dass unsere Bewohner die Möglichkeit bekamen, ihre Familien in den Heimatländern zumindest ansatzweise in den schrecklichen Situationen unterstützen zu können.
Zusammenfassung
Viele der Bewohnerinnen und Bewohner, die mittlerweile in Tirol sesshaft geworden sind, nennen wir
Freunde und freuen uns, wenn sie Kontakt halten und uns über ihren Alltag informieren, uns um Rat fragen und uns an ihrem Leben teilhaben lassen.
Wie vielen Menschen genau wir in diesen acht Jahren im Heim geholfen haben, können wir nicht exakt sagen, es waren aber mit Sicherheit mehr als 300 Personen. Gleich in den ersten Monaten im
Herbst 2016 mussten wir unglaublich rohe, früh morgendliche Abschiebungen von Kindern und ihren
Familien durch die Polizei miterleben. Alle Stationen, die ein Menschenleben ausmacht – Geburt, Tod, Gesundheit, Krankheit, Hochzeit, Trennung, Hoffnung, Enttäuschung, Lachen und Weinen, Ausbildung und Berufswahl – haben wir begleitet. Erfolgreiche Mittelschulabschlüsse, Lehrabschlüsse und eine Matura haben uns motiviert und mit Freude erfüllt. Wir haben gemeinsam Feste gefeiert und festgestellt, wieviel uns Menschen verbindet, egal in welcher Kultur wir alle aufgewachsen sind.
Wir haben sehr gerne unterstützt und waren sehr gerne Brückenbauerinnen und Vermittlerinnen. Die Begegnungen und Beziehungen mit den Menschen, das Begleiten in den unterschiedlichsten Alltagssituationen haben uns bereichert, demütig und dankbar gemacht. Unser privilegiertes Leben in einer Umgebung mit gesicherter Ernährung, ausreichend Wasser, mit einer umfangreichen Bildungslandschaft, einem Gesundheitssystem auf höchstem Niveau, in einer friedlichen Demokratie wurde uns bei jedem Kontakt mit den geflüchteten Menschen noch deutlicher als bisher bewusst.
Wir bedanken uns bei all unseren 73 Vereinsmitgliedern. Jede Unterstützung war wertvoll und wichtig für uns, unabhängig ob aktiv oder passiv. Bei den vielen Geldspenderinnen und Geldspendern möchten wir uns nochmals bedanken, ohne euch wären unsere erfolgreichen Kostenübernahmen und Unterstützungsprojekte im In- und Ausland nicht möglich gewesen – Brillen, Zahnarztbehandlung, Fahrräder, Medikamente, Schulsachen, Rasen/Gartenfläche beim Heim, Hebammenbesuche, Schwimmkurse, Öffi Tickets, juristischer Beistand, in Afghanistan Nähausbildung, Heizmaterial, Grundnahrungsmittel und Hühner, vier lebenswichtige Operationen in Afghanistan und Somalia und vieles mehr.
Unermüdlich hat Ernst Gabl ein wunderbares Integrationsprojekt von der Vinzihand vorangetrieben und begleitet. In über 200 Nachbarschaftshilfe Einsätzen (aktuell 276) haben Gemeindebürger Hilfe von den Heimbewohnern erfahren. Wir sind all unseren Vereinsmitgliedern, moralischen Unterstützerinnen, Spenderinnen und allen, welche den Bewohnerinnen offen, zugewandt, freundlich und menschlich begegnet sind unglaublich dankbar. Es macht uns stolz, dass dieses „Friedensprojekt“ in unserer Gemeinde gelungen ist.
Vorausschau
Jetzt ziehen wir uns aus den aktiven, direkten Tätigkeiten zurück. Als Verein bleiben wir vorerst bestehen und beobachten die Entwicklungen, um in den nächsten Monaten entscheiden zu können, in welcher Form der Verein weitergeführt werden kann oder ob wir ihn komplett auflösen. Wir werden diese Entscheidung zu gegebener Zeit, voraussichtlich im Frühjahr 2025, mittels der Generalversammlung treffen.
(Text: Doris Habicher; Fotos: Petra Hofmann)